Eins vorweg: Ich bin auch ein großer Fan von YouTube, wer auch nicht. Man findet da wirklich fast alles.
Als Kind war ich ein großer Fan der Sendung "Wurlitzer" auf ORF, wo Zuschauer anrufen und sich entweder Filmausschnitte oder Musikvideos wünschen konnten. Ich habe diese Sendung geliebt, mich immer gefragt, wer wohl als nächstes anruft, bzw. was derjenige sich wünschen würde. Und wenn dann mal jemand anrief um sich etwas zu wünschen, was auch ich mir hätte wünschen können, habe ich innerlich gejubelt und mir gewünscht, einen Wurlitzer wie diesen zu haben (also eine Jukebox) wenn ich mal groß bin.
Ein Gerät, das das Lied spielt, welches ich gerade am liebsten höre, und zwar wann ich es will und so oft ich es will, und auch Filmausschnitte zeigt, wann auch immer ich mir das wünsche.
Tatsächlich musste ich wirklich erst erwachsen werden, um so etwas zu bekommen. Zwar gab es damals schon Walkmen und Kassetten (die Älteren wissen vielleicht noch, was das ist), aber mit einer Spielzeit pro Kassette von meist nur 60 Minuten oder - wenn man ne richtig gute hatte - 120 Minuten, war die Auswahl doch eher begrenzt. Und, ein Walkman war zwar im Vergleich günstiger als ein iPod heute, aber dafür auch schneller wieder hinüber. Meine Walkmen hielten im Schnitt ein Jahr bis sie "durch" waren, und wenn man großes Pech hatte, verfing sich das Band der Kassette im Walkman und man musste erst mal den Bandsalat mühsam aus dem Laufwerk pfriemeln, um im Anschluß daran zu hoffen, daß es reicht, das Band der Kassette einfach wieder mit einem Bleistift straff zu ziehen und alles ist wieder ok. Der "worst case" war jedesmal, wenn es eine Kassette erwischte, wo genau das eine Lied drauf war, auf das man bei den "Schlagern der Woche" auf Bayern3 schon seit Wochen gewartet hat, damit man es live im Radio aufnehmen konnte, weil es sowas wie iTunes damals noch nicht gab und man sonst nicht an das Lied kam.
Überhaupt, wenn man das Wunschlied ganz aufnehmen konnte, weil ausnahmsweise mal nicht Verkehrsmeldungen mitten rein eingespielt wurden oder der Moderator eine halbe Minute vor Ende des Songs anfing, mitten rein zu quatschen, konnte man sich so glücklich schätzen wie ein Lottogewinner. Oder wenn das Lied nicht nur halb gespielt wurde, weil nicht genug Zeit bis zu den Nachrichten war.
War die Kassette doch beschädigt, konnte man mit viel Fingerspitzengefühl und Geschick die Kassette öffnen, das Band freilegen, die beschädigte Stelle herausschneiden und vorsichtig wieder mit Tesa zusammenkleben in der Hoffnung, daß nicht allzuviel fehlt, und die Kassette vorsichtig wieder zusammenbauen (ähnliches funktionierte auch mit Videokassetten).
Und überhaupt, das iTunes damals war das "WOM" in München, das "World of Music", der einzige Ort - abgesehen vielleicht vom örtlichen Plattenladen, wenn man das Glück hatte sowas zu haben - an dem man außer im Radio noch fündig werden konnte. Erst, als CD's aufkamen und auf immer größeres Interesse stießen, fing auch Hugendubel (seit jeher ohnehin einer meiner Lieblingsläden vor der Erfindung von Amazon) an, Musik anzubieten.
Wer mit iTunes und YouTube aufgewachsen ist, wurde - zumindest in medialer Hinsicht (wenn schon in keiner anderen) - in eine goldene Zeit geboren. Auf iTunes und YouTube ist fast alles fast jederzeit verfügbar, ob es sich um den alten Gassenhauer handelt, den Oma früher doch so gerne hörte, oder um das neueste Lied irgendeiner deutschen Band, das Gefahr läuft, einen beim Hören in Depressionen zu stürzen.
Zerkratzte Schallplatten? -> Kennen iTunes und YouTube nicht
Bandsalat bei Kassetten? -> Kennen iTunes und YouTube nicht
CD's, die hüpfen, weil Dreck drauf ist? -> Kennen iTunes und YouTube nicht
Komplett abgewickelte Kassetten, weil der kleine Bruder das so lustig findet (und die Kassette unrettbar damit zerstört, weil das Band am Ende dann komplett verknittert und verknotet ist):
Auch das kennen iTunes und YouTube nicht.
Die Liste ließe sich noch eine Weile fortsetzen, von leeren Walkman-Batterien (weil auch die nur eine begrenzte Kapazität haben und für gewöhnlich auch nicht ewig durchhalten, so daß man zusätzlich zu den mehreren Kassetten die man immer dabei haben musste - wenn man mal was anderes hören wollte - auch immer frische Batterien haben musste) bis ausgelaufene Batterien, oder leere Batterien, oder, oder, oder.....
Die Erfindung des iPod war daher ein Meilenstein, und die Playlist bzw. Speicherkapazität desselben ein Eldorado für jeden, der gern Musik hört, oder Hörbücher, oder Podcasts ....
YouTube ist im Grunde genommen die logische Weiterentwicklung.
Ich könnte jetzt sehr viel darüber erzählen, was im Namen von YouTube alles unternommen wurde, damit auch Hänschen Klein und Lieschen Müller ihre 15 Minuten Ruhm (frei nach Andy Warhol) einheimsen konnten, aber ich denke, das muß man keinem mehr erklären.
Meine Meinung zu Influencern spare ich mir hier auch weitestgehend (wie war der Witz...? "Ich kann auch nix!"?).
Worauf ich aber hinauswill und was ich nicht verstehe:
Warum zum Teufel nutzt man YouTube, um sich Fakten anzueignen, die keine sind, um sie dann "alternativ" zu nennen, und bei deren Erwähnung die Wegbereiter der Wissenschaft im Grab rotieren würden?
Ich zähle mal ein paar "alternative Fakten" auf, wie sie unzählige YouTube-Nutzer dort nicht nur aufschnappen, sondern leider auch als gesicherte Tatsachen verbreiten:
- Die Bundesrepublik Deutschland existiert nicht - sie ist eine GmbH die von geheimen Mächten gesteuert wird.
- Angela Merkel ist kein Mensch - sie ist eine Reptiloidin (vermutlich direkt aus der Serie "V - Die Besucher" entsprungen)
- in Russland wurde die Hölle angebohrt und man kann die Stimmen der Verdammten aus dem Bohrloch hören (zwei, drei Mausklicks und man kann die wahre Geschichte dahinter nachlesen, die nicht minder spannend ist)
- Impfungen verändern die eigene DNA (wenns bei einigen Zeitgenossen nur so wäre.....)
- die AfD hat nur lupenreine Demokraten unter ihren Parteimitgliedern
- .....
Und während nach der Tagesschau im öffentlich rechtlichen TV im Internet akribisch nach "Beweisen" gesucht wird, um alles zu widerlegen, was der freundliche Nachrichtenmoderator so von sich gibt, und sei es der Wetterbericht (der im Januar die Möglichkeit von winterlichen Niederschlägen andeutet), weil man schließlich nicht alles glauben darf was die "Systemmedien" einem weismachen wollen, werden Videos auf YouTube von Usern gerne kritiklos als bare Münze und Tatsachen genommen und als Fakten möglichst weit verbreitet, damit der nächste Depp auch dran glaubt.
Bei ARD, ZDF und sämtlichen öffentlich rechtlichen TV-Sendern wird sich die Mühe gemacht, zu recherchieren, wer das eigentlich ist, aber wenn ein Kanal auf YouTube irgendwas behauptet, dann stecken da natürlich keine eigennützigen Absichten dahinter. Und das muß dann ja so sein. Wenn z.B. "RT-Deutschland" behauptet, Impfungen wären nur ein groß angelegtes Experiment unserer Regierung, dann stimmt das natürlich, denn das ist ja ein Nachrichten-Sender.
Dass aber "RT" die Abkürzung für "Russia Today" ist, und ein Schwurbelsender vom Feinsten, mit dem Russland Unfrieden in Deutschland schaffen will, und zwar ganz bewusst, das kann man doch von einem unbedarften YouTube-Nutzer nicht verlangen, daß er das weiß - oder auf Wikipedia nachliest oder hinterfragt, ob das alles so stimmen kann.
Wenn jemand kommt, und auf YouTube behaupten würde, der Verzehr von beliebigen Körperflüssigkeiten von beliebigen Tieren hilft gegen jeden Scheißdreck und zwar besser als Medikamente, oder aber Beten alleine lässt ein Bein nachwachsen, dann sind das verdammt nochmal Fakten und niemand hat das Recht, diese anzuzweifeln! Anzweifeln darf, ja, muss man in Gottes Namen alles was die "Systemmedien" zeigen, aber doch auf keinen Fall, was auf YouTube kommt!
Damit will ich nicht sagen, nutzt kein YouTube mehr. Aber YouTube kann so viel mehr, als Musikvideos abspielen oder den neuesten Sermon der Schwurbelbrothers abspielen.
Dort lassen sich auch wahre Schätze finden.
Meine Lieblingskanäle sind zum Beispiel:
M.E.G.A. - Make Europe gscheid againRainer Hersch Fan ChannelWolfgang Dibiasi - YouTubeCHRONOS-MEDIA History - YouTubewetternet - YouTube
Diese Kanäle sind informativ, unterhaltsam, und werden von Fachleuten betrieben, die ihren Job tatsächlich mal irgendwann irgendwo gelernt haben, und zwar mit einem offiziellen Abschluß auf einer echten Uni oder Ausbildungsbetrieb. Und nicht irgendwo auf Google. Ja, das gibt's tatsächlich!
Man kann dabei viel lernen, wird trotzdem gut unterhalten und schaut mal über den Tellerrand. M.E.G.A. erklärt wissenschaftlich, aber leicht verständlich, wichtige Fakten zum Corona-Virus und Impfungen, Rainer Hersch bringt einem klassische Musik näher und trainiert die Bauchmuskeln, der Kanal vom "YouTube-Biologen" lässt einen weniger Angst vor Spinnen haben und macht coole Ausflüge in die Natur, Wetter.net hat den unterhaltsamsten Wetterbericht und auf Chronos finden sich uralte Filmaufnahmen, für alle, die schon immer mal wissen wollten, wie es in Deutschland in der Kaiserzeit aussah (1870er), oder Hamburg vor dem zweiten Weltkrieg. Auch Aufnahmen zu anderen Epochen in Deutschland finden sich hier.
Man sieht also, YouTube hat mehr zu bieten als Musik und Schwurbel, nutzt das doch!
Und nur mal so am Rande: Wenn ihr nichts mehr hören könnt, fragt ihr doch auch nicht bei eurem Bäcker nach einer fundierten Behandlung, und geht statt dessen zu einem Fachmann, oder?
Warum also sind dann Fakten aus YouTube gefühlt so viel wahrer als tausende von Forschungsergebnissen von tausenden von Wissenschaftlern, die alle einen Uni-Abschluß haben?
Weil nicht sein darf, was euch nicht in den Kram passt?
Dann darf man aber auch nicht über Politiker lachen, die im Bundestag anfangen zu singen, daß sie sich die Welt so machen, wie sie ihnen gefällt.... denn dann ist man selbst nicht besser.