„Inklusion: Die Forderung nach sozialer Inklusion ist verwirklicht, wenn jeder Mensch in seiner Individualität von der Gesellschaft akzeptiert wird und die Möglichkeit hat, in vollem Umfang an ihr teilzuhaben oder teilzunehmen. Unterschiede und Abweichungen werden im Rahmen der sozialen Inklusion bewusst wahrgenommen, aber in ihrer Bedeutung eingeschränkt oder gar aufgehoben. Ihr Vorhandensein wird von der Gesellschaft weder in Frage gestellt noch als Besonderheit gesehen. Das Recht zur Teilhabe wird sozialethisch begründet und bezieht sich auf sämtliche Lebensbereiche, in denen sich alle barrierefrei bewegen können sollen.“
Quelle: Wikipedia
Ich habe bewusst mit der Definition laut Wikipedia begonnen, damit sich jeder unter diesem Begriff etwas vorstellen kann. Inklusion wird meistens in Zusammenhang mit Behinderung genannt, aber setzt man sich mit der Definition genauer auseinander, so betrifft Inklusion eigentlich uns alle. Nicht nur Querschnittsgelähmte, Blinde, Taube oder sonst mit einer Behinderung geschlagene Menschen, sondern alle, die nicht der Norm entsprechen.
Und der Norm entsprechen nun mal die meisten Menschen – NICHT.
Es fängt schon damit an: ein bisher „gesundes“ Kind entwickelt eine Sehschwäche. Es benötigt eine Brille. Je nach Ausprägung der Sehschwäche kann es nun – oder kann es nicht – z.B. problemlos am Sportunterricht teilnehmen. Handelt es sich um einen Teenager, sind Kontaktlinsen eine Option, aber wie ist das mit Grundschulkindern? Da bleibt meist nur, daß das Kind mit Brille am Sportunterricht teilnimmt. Aber bestenfalls nur, wenn keine Ballspiele gespielt werden, denn eine Brille ist zerbrechlich. Nachdem wir in unseren Schulen meistens „genormten“ Sportunterricht haben, in dem alles mal durchgenommen wird, behaupte ich jetzt mal, daß das Kind das eine oder andere Mal auf der Bank sitzen muß. Hätten wir nun Schulen, in denen sich das Kind aussuchen kann, wie es den Sportunterricht verbringen möchte, wäre es einfacher. Beim Schwimmen z.B. gäbe es kein Problem, bei Jazzdance, beim Laufen…. Wie es erst aussehen mag, wenn ein Kind tatsächlich gehbehindert ist oder eine andere Art der Behinderung hat, das kann sich jeder selbst ausmalen.
Dabei ist die Sehschwäche schon sehr weit verbreitet, aber nicht mal hier funktioniert Inklusion, ganz abgesehen davon, daß man von der Krankenkasse zwar problemlos Akupunktur oder Gl(au)obuli erstattet bekommt, aber keinesfalls eine Brille. Nicht mal dann, wenn man ohne Brille nicht arbeitsfähig ist. Es gibt zwar die Möglichkeit einer „Bildschirmarbeitsbrille“, für die eigentlich der Arbeitgeber aufkommen soll, aber nicht jeder fordert diese von seinem Chef ein, nicht jeder hat einen Bildschirmarbeitsplatz, und damit nicht genug: Diese Brille ist formell gesehen das Eigentum der Firma. Wie kommt nun aber der Arbeitnehmer in die Arbeit, wenn er doch seine Brille erst dort aufsetzen kann? Und wer eine Brille sein eigen nennt, der weiß, daß es in den wenigsten Fällen reicht, in den nächsten Rossmann zu gehen und sich dort eine 5-Euro-Brille vom Ständer zu schnappen. Meistens wird eine entspiegelte Brille benötigt, weil man ja auch Auto fährt, und wenn dann noch unterschiedliche Sehstärken und vielleicht noch eine Hornhautverkrümmung dazu kommen, ist man schnell mehrere hundert Euro los. Selbst wenn man zu Fielmann oder Apollo geht.
Sehschwäche ist aber bei weitem nicht das Einzige, unter dem Millionen von Deutsche „leiden“. Übergewicht zum Beispiel ist auch auf dem Vormarsch. Natürlich trägt jeder Übergewichtige auch selbst Verantwortung, ich nehme mich da selbst gar nicht aus, aber man muß sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen, wie schizophren unsere Gesellschaft mittlerweile ist: Jeder soll fit und gesund sein, möglichst viel Sport machen und sich gesund ernähren. Aber natürlich auch beruflich erfolgreich sein. Das sieht in der Realität meist so aus: Der Arbeitnehmer verlässt früh am Morgen das Haus, da das Home Office in den wenigsten Haushalten Einzug gefunden hat, was nicht zuletzt an der mancherorts grottenschlechten Internetverbindung liegt. Ist der Arbeitnehmer (AN) ein paar Minuten zu spät dran, steht er nämlich mindestens eine halbe Stunde im Stau, da sich die wenigsten eine Wohnung in der Stadt, wo die meisten jedoch arbeiten, leisten können. Also kann man für die Fahrt von und zur Arbeit einfach schon mal mindestens 1 Stunde rechnen, außer man hat das Glück in der Nähe etwas gefunden zu haben (falls man nicht gerade arbeitssuchend war und die Agentur für Arbeit einen zwingt einen Job anzunehmen, der am Arsch der Welt ist – denn zwei Stunden einfach sind ja „zumutbar“). Fährt man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, kann man froh sein, wenn man überhaupt am Ziel eintrifft. Ich sage nur „Stammstreckensperrung“, „Zugausfall“ und „vorzeitige Endstation“.
Endlich angekommen, liegen mindestens 8 Stunden Nettoarbeitszeit für Vollzeit berufstätigte AN vor einem. Mindestens, weil es in den meisten Berufen unrealistisch ist, den Stift nach 8 Stunden „fallen zu lassen“. Es wird unausgesprochen vorausgesetzt, daß man zu Überstunden – notfalls auch unbezahlt – bereit ist. Zwar gilt eine Stundengrenze von 10 Nettoarbeitsstunden, sogar gesetzlich (bis auf wenige Ausnahmen), aber allzu oft wird diese Grenze nicht eingehalten. In manchen Berufen ist dies schlicht auch nicht möglich, abgesehen davon, daß manch einer, der wirklich „den Stift fallen lässt“ mit seinem Job spielt. In München und Umgebung kann sich das kaum einer leisten, da schließlich irgendwer die Miete bezahlen muß. Hier könnte ich einen weiteren Blogbeitrag nur über die Immobilien- und Mietpreise und die Lebenshaltungskosten in München und Umgebung allgemein schreiben, ich denke aber, jeder, der in dort wohnt, weiß genau, was ich meine.
Gut, also gehen wir davon aus, daß wir einen Arbeitnehmer haben, der das Glück hat, nach 8einhalb Stunden heimgehen zu können. Realistisch gesehen, müssen wir auch davon ausgehen, daß er zu einer Zeit nach Hause fährt, zu der auch andere nach Hause fahren. Fährt er mit dem Auto, kann man schon mal eine halbe Stunde Stau drauf rechnen. Sind wir bei neun Stunden. Dann noch jeweils eine Stunde zur und von der Arbeit, sind wir schon bei 11 Stunden. Jetzt soll der Arbeitnehmer aber auch fit bleiben, sich mit seiner Familie beschäftigen, sich neben dem Job auch noch in seiner Freizeit weiterbilden, und sich gesund ernähren, also möglichst selbst und mit frischen Zutaten kochen, und – nicht zu vergessen: Ausreichend schlafen (also mindestens 7einhalb Stunden pro Nacht, weshalb also für sonstige Aktivitäten einschließlich Körperhygiene und Essen noch knapp 5 Stunden bleiben). Die frischen Zutaten sollte man aber tagesaktuell besorgen, so lange halten diese nämlich nicht, und Zeit fürs Kochen sollte man auch einplanen. Also entweder nimmt man das in Kauf, oder aber man greift auf Fertiggerichte zurück, in denen alles mögliche an Zutaten drin ist, das Meiste ungesund, das Wenigste frisch… Nicht gerade für ein gesundes Gewicht förderlich.
Aber ihr seht schon: Entweder bleibt das Familienleben auf der Strecke, weil man im Stau festsitzt, in der Muckibude abhängt oder in der Küche steht. Denn 5 Stunden sind sehr schnell vorbei, gerade, weil man 5 Stunden insgesamt für alle Aktivitäten außerhalb Arbeit und den Weg von und zu hat. Täglich. Also zweieinhalb Stunden morgens und zweieinhalb Stunden Abends, z.B.
Die berufliche Weiterbildung kann sich ohnehin keiner leisten, weil es da nämlich vom Staat nicht so einfach Zuschüsse zu diesen meistens in die Tausende gehenden Kurse gibt. Gleichzeitig schreien Industrie und Handel aber immer lauter nach Fachkräften….
Nun jedoch zurück zu unseren Übergewichtigen: Die meisten Stühle in Cafés, Flugzeugen, Kinos oder sonst wo sind nicht dafür ausgerichtet, daß ein Mensch von der Norm abweicht. Hat nun jemand nicht nur „ein paar Kilo Zuviel auf den Rippen“ kann das schon dazu führen, daß dieser Jemand nicht mehr ausser Haus gehen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen will, von den Anfeindungen, weil man nicht der Norm entspricht, ganz zu schweigen. Ich weiß hier genau wovon ich spreche, ich bin selbst stark übergewichtig. Mich selbst hat das in den seltensten Fällen davon abgehalten, zu tun, was ich tun wollte, meine Mutter jedoch hatte mehr Übergewicht als ich und nahm irgendwann tatsächlich nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teil. Sie ging zuletzt nicht mal mehr zum Einkaufen außer Haus, was sie schlussendlich das Leben kostete. Alles fing damals damit an, daß einige in ihrer Gegenwart abfällige Kommentare äußerten und sie schief ansahen, im Lauf der Jahre machte sie unzählige Diäten, die alles nur noch schlimmer machten (Jo-Jo-Effekt) und dies führte dazu, daß sie am Ende dieser langen Diät-Karriere mehr auf die Waage brachte als zu Anfang.
Das krasse Gegenteil: Menschen mit Untergewicht, die solches aus den verschiedensten Gründen haben. Obwohl gesellschaftlich weit mehr akzeptiert als Übergewicht, kommt für viele jedoch auch der Punkt, an dem sie sich anhören müssen, sie wären magersüchtig oder zu faul zum essen, auch wenn die Ursache woanders liegt. Auch nicht wirklich witzig.
Jetzt kann manch einer sagen, „ich bin weder über- noch untergewichtig noch benötige ich eine Brille und fit bin ich auch“.
Ist dem so? Dann herzlichen Glückwunsch!
Aber haben Sie auch die Durchschnittsgröße von 1,80 m als Mann mit einem BMI von 27 und als Frau 1,66 m mit einem BMI von 26? Nein?
Tja – Pech gehabt. Die Hosen sind entweder zu lang oder zu kurz, zu weit oder zu eng geschnitten, das gleiche trifft natürlich auch auf sämtliche andere Kleidungsstücke zu, und bei Frauen will ich von den Vorbildern ohne Vorbau mit einem Maximal-BMI von 15 gar nicht erst anfangen. Übrigens Frauen mit Vorbau: BHs bekommt man nur hinterhergeworfen, solange man keine braucht. Sprich wenn Frau eine ordentliche Oberweite hat, hat sie auch schon verloren, da man nach BHs ab Körbchengröße D mit einer Unterbrustweite von mehr als 95 regelrecht suchen muß. Hat man aber „fast nix“ – also 75 A – bekommt man BHs an jeder Ecke.
Frauen, die dieses Problem kennen, werden aber verstehen, daß Frau gerade dann nicht ohne BH außer Haus gehen möchte. Dazu kommt, daß ein guter BH bei einer überdurchschnittlichen Oberweite wichtig ist, bewahrt er doch vor zusätzlichen Rückenschmerzen. Frau muß schließlich arbeitsfähig bleiben, womit wir wieder bei dem Problem wären, daß Mann und Frau auch in München und Umgebung von etwas leben muß….
Wir sehen: Das sind schon die alltäglichsten „Behinderungen“. Über- oder Untergewicht, Sehschwäche, ein Körper, der nicht der Norm entspricht, alles führt dazu, daß man im täglichen Leben das eine oder andere Problem hat. Gender-Probleme habe ich hier noch nicht mal angeschnitten oder Probleme, die das Alter(n) mit sich bringen.
Und was ich sagen will: Inklusion ist gut, Inklusion ist wichtig. Aber: Nicht nur für behinderte Menschen, sondern für jeden von uns. Indem jeder Einzelne und unsere Gesellschaft weniger egoistisch, weniger oberflächlich und individueller und toleranter denkt, fördern wir die Inklusion ganz automatisch. Und der Rest kommt dann (fast) von alleine. Denkt mal drüber nach!